
Menschenrechte sind nicht beliebig dehnbar
Kautschuk ist an und für sich ein lustiges Wort mit einer langen Herkunftsgeschichte. Die aktuelle Geschichte zu Kautschuk ist weniger lustig, handelt sie doch von Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutungen. Die BVK reagierte mit dem letztmöglichen Mittel: Ausschluss!
Gummidichtungen, Autopneus, «Gümmeli» zum Zusammenhalten von Dingen, Gummis zum Radieren von Bleistift – unser Alltag wäre deutlich weniger elastisch ohne das vielfältig einsetzbare Material, das als Kautschuk von speziellen Bäumen gewonnen und durch Vulkanisation zu Gummi wird. Mittlerweile kann Kautschuk auch synthetisch hergestellt werden. Die Gesamtproduktion betrug gemäss Statista im Jahr 2023 28,8 Millionen Tonnen. Etwa 40 Prozent davon ist Naturkautschuk.
Lange vor Kolumbus erfunden
Erfunden wurde Gummi von den indigenen Völkern Südamerikas. Sie fanden bereits Mittel, das von den Bäumen gewonnene Latex zu Kautschuk zu trocknen und mittels einem speziellen Räucherverfahren zu Gummi zu verarbeiten. Die ältesten bekannten Gegenstände aus Kautschuk datieren auf die Zeit um 1600 vor Christus. 1839 erfand dann Charles Goodyear, der Anregungen von Friedrich Wilhelm Lüdersdorff nutzte, mittels Vulkanisation den Hartgummi, was einen wahren Kautschukboom auslöste. Nebenbei: Der heute drittgrösste Reifenhersteller Goodyear wurde erst 1898 von den Gebrüdern Seiberling gegründet, die ihr Unternehmen nach dem Erfinder der Vulkanisation benannten.
Und auch heute noch wird Naturkautschuk in grossen Mengen gesammelt und gehandelt. Unter anderem durch den französischen Mischkonzern Bolloré, der in verschiedensten Geschäftsfeldern tätig ist, darunter Logistik, Energie, Werbung, Verlagswesen und TV («Canal+»). Das von der Familie Bolloré kontrollierte Unternehmen ist auch einer der Hauptaktionäre der luxemburgischen Socfin Group, welche Kautschuk- und Palmölplantagen in Zentral- und Westafrika sowie in Südostasien betreibt.
Vertreibung und Gewalt
Seit über einem Jahrzehnt werden der auch in der Schweiz ansässigen Socfin vorgeworfen, auf schwere Weise gegen Menschenrechte zu verstossen. Die Vorwürfe lauten, dass die Plantagen in Liberia, Sierra Leone, Nigeria, Kamerun und Kambodscha systematisch die Landrechte der einheimischen Bevölkerung verletzen. Ganze Dörfer mussten den Plantagen weichen und die rechtmässigen Besitzer wurden teilweise gewaltsam vertrieben. Das Leben auf den Plantagen ist zudem von Gewalt und sexueller Belästigung geprägt. Eine von Socfin in Auftrag gegebene Untersuchung bestätigte diese Anschuldigungen sogar grösstenteils.
Bolloré steht in der Verantwortung
Die OECD-Leitsätze, welche auch die Schweiz unterstützt, verpflichten multinationale Unternehmen, innerhalb ihres Einflussbereichs die Menschenrechte zu schützen. Trotz der Klarheit des international anerkannten Standards sieht sich Bolloré bezüglich Socfin nicht in der Pflicht. Seit 2010 kam es deshalb wiederholt zu Beschwerden vor den Anlaufstellen der OECD, welche im Streit vermitteln. Doch bisher ohne Erfolg. Ein 2013 vereinbarter Aktionsplan wird 2014 für nicht umsetzbar erklärt. Eine Klage vor einem französischen Gericht, welche die Umsetzung erwirken will, ist hängig.
Dialog zielt auf Prävention
Der Schweizer Verein für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen (SVVK), zu dessen Gründungsmitglieder die BVK gehört, stellte im Rahmen des periodischen Portfolio-Screenings eine mögliche Verletzung seiner normativen Grundlagen durch Bolloré fest. 2020 suchte der Verein einen Engagementdialog mit den Verantwortlichen. Dabei ging es nicht darum, über das Vorgefallene zu urteilen, sondern um die Verhinderung ähnlicher Fälle in der Zukunft. Konkret wurde gefordert, dass Bolloré auf die Umsetzung der Menschenrechtsrichtlinien in seiner Einflusssphäre pocht. Insbesondere sollte das Unternehmen verlangen, dass Socfin die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung zu seinen Plantagenprojekten sicherstellt. Doch wie im Mediationsverfahren der OECD beharrte Bolloré auf seinem Standpunkt: Als Minderheitsaktionär von Socfin könne es nicht tätig werden.
Wenig stichhaltige Argumentation
Diese Argumentation ist wenig überzeugend. Die OECD-Leitsätze verlangen, dass ein Unternehmen Menschenrechte über seine Konzerngrenzen hinweg in seinem Einflussbereich schützt. Die Einflussmöglichkeit von Bolloré im Sinne dieser Leitsätze wird als sehr hoch eingestuft, da die Bolloré-Gruppe nahezu 40 Prozent an Socfin hält, während 55 Prozent einem ehemaligen Bolloré-Vorstand und engem Vertrauten des Bolloré-Gründers gehören. Gemeinsam mit drei Söhnen bilden sie bis heute den Socfin-Vorstand.
Ausschluss als letztes Mittel
Trotz zahlreichen Anläufen über mehr als drei Jahre zeigte sich Bolloré nicht bereit, seine Einflussmöglichkeiten zu thematisieren. Bolloré verharrt auf dem Standpunkt, dass seine Verantwortung an der Konzerngrenze ende. In der Folge hat der SVVK im Juni 2023 seinen Mitgliedern empfohlen, ihre Beteiligungen an Bolloré zu veräussern und bis auf Weiteres auf Investitionen zu verzichten. Die BVK hat dieser Empfehlung Folge geleistet und Bolloré aus dem Anlageuniversum ausgeschlossen
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22.05.2025
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